Farbe ist eine variable Größe kultureller Codierungen [1] und damit ein wesentlicher Schlüssel zu unserem Selbst- und Weltverständnis. Damit bietet eine Geschichte und Theorie der Farben nicht nur einen direkten Zugang zu einer jeweils zeitgenössischen kulturellen Selbst-Wahrnehmung, sondern auch zur Sichtbarmachung von deren historischen Transformationen. Farbe erscheint dabei eben nicht bloß als Wahrnehmung von Licht bestimmter Wellenlängen, sondern ist in ihren vielfältigen wissenschaftlichen, ökonomischen und sozialen Repräsentationen und Nutzungszusammenhängen immer auch Ausdruck und Identität einer Kultur. weiterlesen
In dieser Perspektive ist die Farbe für das Forschungsvorhaben 1 in doppelter Hinsicht als Akteur wirksam – nämlich einmal in historisierender Perspektive, also in ihrer tatsächlich zeitgenössischen Bedeutung, Handhabung und Wirkmächtigkeit, die es dann über ihre Speicherfunktion als materieller Zeitzeuge, hinsichtlich der eingeschriebenen Codes, für aktuelle Fragestellungen zu reklamieren gilt. Der Begriff Akteur oder Aktant meint dabei aber nicht nur im Sinne Bruno Latours eine Bedeutung der Farbe als gleichberechtigter Beziehungspartner in einer Mensch-Objekt-Relation, sondern auch die konkreten Handlungen von Farbstoffen und Pigmenten z. B. in ihrer Interaktion mit anderen Stoffen, wie etwa in den Fließbildern Friedlieb Ferdinand Runges, in denen der Bildungstrieb der Stoffe gar eine farblich artistische Konkretion gewinnt.
An diesen Punkten setzt das Forschungsvorhaben 1 der FSU Jena "Die materielle Seite der Farben – Geschichte und Theorie ihrer Entwicklung" an, in dem es um die unterschiedlichen Kulturen der Farbe und ihrer wissenschaftshistorischen Verortung geht. Als grober zeitlicher Ausgangspunkt dienen dem Vorhaben die Ansätze erster Farbnormierungen im 18. Jh., wobei in verschiedenen Fällen – etwa hinsichtlich der Setzung von Farbwerten in der Alchemie und musiktheoretischen Farbskalierungen – gleichfalls zeitlich weiter ausgegriffen wird.
Grundlegend strukturiert wird das Teilvorhaben auf der einen Seite durch die sich auf materieller Ebene ergebenden Transformationsprozesse, die das gesamte Forschungsprojekt durchziehen, also einmal die Verdrängung der Naturfarbstoffe und -pigmente durch die synthetischen Anilin- oder Teerfarben in der zweiten Hälfte des 19. Jh., und dann durch die zunehmende Entdinglichung farblicher Wahrnehmungen von der analogen hin zur digitalen Repräsentation von Farbe im Zuge der digitalen Revolution. Auf der anderen Seite ist parallel zu dieser Grundstruktur die farbtheoretische Entwicklung zu analysieren, deren Erkenntnisse wesentlich zum Verständnis differenzierter Farb- und damit Wirklichkeitswahrnehmung beitragen. Dabei liegt der Fokus auf der Analyse der Wechselseitigkeit zwischen wissenschaftlicher Theoriebildung und den unterschiedlichen Nutzungszusammenhängen und Wahrnehmungen von Farbe in Wissenschaft, Handwerk und Kunst.
Die Bedeutung physikalischer und physiologischer Farbtheorien offenbart sich dabei etwa in der Geschichte der wahrnehmungsbasierten Normvalenzsysteme der CIE– und NCS-Farbräume und ihrer grundlegenden Funktion für Drucker, Designer, Architekten und Künstler. Diese auf der Mischung verschiedenfarbiger Lichter basierenden Normierungsansätze weisen dabei einerseits auf die zunehmende Loslösung der Farbe von ihrer Objekthaftigkeit und andererseits auch auf die wachsende Bedeutung von Beleuchtungssituationen, die wiederum an die technische Entwicklung künstlicher Lichtquellen gebunden sind. Zu betonen ist hierbei, dass zwar beide gegenwärtig gebräuchlichen Farbsysteme über Farb-Wahrnehmungen von Probanden entwickelt wurden, dass dabei aber zum einen eine zeitlich gleichbleibende und zum anderen auch eine räumlich-unabhängige Farb-Wahrnehmung des Menschen unterstellt wird. Dass sich aber Farbwahrnehmungen in Abhängigkeit zur jeweiligen Farb-Umwelt konstituieren und sich mit dieser entsprechend verändern, zeigten bereits die Anthropologen Berlin und Kay 1969 in ihren Basic Color Terms. Für welche Farbwahrnehmungskultur und für welchen Zeitraum bieten dann aber diese Systeme als Farbstandards eigentlich eine Norm? Zu kontrastieren ist diese Situation licht- und empfindungsbasierter Farbnormen dann auch mit den sich an diesen orientierenden, objektgebundenen Farbstandards und ihrer Geschichte von Prange über Ostwald und Munsell bis hin zu RAL, Pantone oder dem NCS.
Damit stellt sich zugleich auch die Frage, ob die Entwicklung der entstofflichten und wahrnehmungsbasierten Standards, nicht bereits auf die durch Farbalterung induzierte schleichende ‘Entstandardisierung’ materiell dokumentierter Farbstandards reagiert? Sind also die in den Mischungen genormter Farblichter erzeugten Standards dauerhafter und damit den objektgebundenen Ansätzen grundlegend überlegen, nur weil sie in eine mathematische Abstraktion überführt werden können? Wird mit dieser mathematischen Sicherung aber nicht gleichfalls die Farbe als subjektgebundene Wahrnehmung ihrer ästhetischen Qualitäten enthoben? Was dann allerdings durch diese Entmaterialisierung farblicher Standards einerseits, im Hinblick auf die im Grunde doch beliebig wechselnden Abbildungsqualitäten moderner Bildschirme, und andererseits hinsichtlich der Problematiken einer exakten Rück-Übersetzung von derart genormten Farben in die analoge Welt der Drucke, Fotographien und Konsumgüterproduktion gewonnen ist, bleibt im Laufe des Forschungsvorhabens zu untersuchen.