Farbige Moderne

Zur Analyse der Farbigkeit im Werk von Bruno Taut

Für Architekten der frühen Moderne war Farbe essentielles Gestaltungsmittel eines zeitgemäßen Bauens. Stärker als jede andere Kunstgattung wird jedoch Architekturfarbigkeit durch Umwelteinflüsse, Alterung und unsachgemäße Neuanstriche verändert. Die Interpretation von farbigem Bauen und der zugrunde liegenden Gestaltungskonzepte ist aber entscheidend davon abhängig, dass die ursprüngliche Farbigkeit real erschlossen werden und zumindest modellhaft wieder erfahrbar gemacht werden kann. Als Grundlage für die Rekonstruktion historischer Architekturfarbigkeit dient in der Praxis häufig der optische Abgleich von Freilegungsproben mit aktuellen Farbkarten; bei Bauten des 20. Jahrhunderts können darüber hinaus noch vorhandene zeitgenössische Farbkarten herangezogen werden.
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Für die Beurteilung der ursprünglichen Wirkung von Architekturfarbigkeit ebenso bedeutend ist deren Materialität, also das komplexe Zusammenspiel von Farbmitteln, Bindemitteln, Füllstoffen und Auftragstechniken, ein Aspekt, der in der Praxis eher selten analysiert wird. Bei der Nutzung historisch-zeitgenössischer Farbkarten als Quelle für ursprüngliche Farbkonzepte ist aber auch zu berücksichtigen, dass es bei diesen Referenzmaterialien durch Alterungsprozesse ebenfalls zu Farbtonveränderungen kommen kann. Grundlegende Untersuchungen zu diesen Fragen fehlen bisher. Das Forschungsprojekt soll sich daher in einer exemplarischen Studie dem Problem der Quellenerschließung, der Analyse und dem Formulieren verbindlicher Kriterien für die Beurteilung und Bewertung "authentischer" Farbigkeit von Architektur und historischen Farbreferenzen widmen. Hierfür bieten die bedeutenden Farbstoff- und Farbmustersammlungen der FH Köln, der TU Dresden und der HfBK Dresden eine hervorragende Materialbasis.

Bruno Taut – ein Regisseur der Farben

Ausgangspunkt der Untersuchungen ist der Siedlungsbau Bruno Tauts, des Initiators und führenden Vertreters des "farbigen Bauens" in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. 1919 erschien in der "Bauwelt" sein programmatischer "Aufruf zum farbigen Bauen". Bereits zuvor hatte er ab 1913 in den Gartenstädten "Falkenberg" (Berlin) und "Reform" (Magdeburg) leuchtende Farben statt des üblichen Grau in den Siedlungsbau eingeführt. In der Folge blieb für Taut die Farbgestaltung unverzichtbares Element seiner Bauprojekte.

In seinen Schriften diskutierte Taut vielfach die Prinzipien des farbigen Bauens: die Bevorzugung reiner Farben, die Wahl unterschiedlicher Farben für die verschiedenen Seiten eines Gebäudes und vor allem die Interdependenz von farbiger Architektur und ihrer jeweiligen Umgebung. Tauts Bezeichnung der Farben bleibt jedoch notgedrungen vage, Begriffe wie "kaltgrün" oder "signalrot" umschreiben subjektive Farbempfindungen, die beim Leser individuell unterschiedliche Assoziationen hervorrufen. Selbst der scheinbar objektive Farbwert "zitronengelb" ist in seiner Farbwirkung von weiteren Faktoren wie Oberflächenstruktur, Mattheit oder Glanz abhängig.

Taut war sich der Subjektivität der Nomenklatur durchaus bewusst, ebenso der Grenzen farbiger Reproduktionen. Daher wählte er 1927 bei der Publikation von "Ein Wohnhaus" eine für architekturtheoretische Werke eher ungewöhnliche Form der Objektivierung, indem er jedem Exemplar einen Musterstreifen mit real stofflichen Farbaufstrichen beilegen ließ. Auf diesen verweist er bei der detaillierten Aufzählung aller im Haus verwendeten Farben. Dem Leser sollten so die von der Materialität von Pigment und Bindemittel abhängigen Farbwerte und Farbwirkungen (Tiefenlicht, Oberflächenglanz) unmittelbar erfahrbar werden. Demgegenüber veranschaulicht die beigegebene Farbreproduktion die Verteilung der Farben im Raum.

"Farbenzusammenstellung" und Farbreproduktion können aber nur einander ergänzende Annäherungen an das Raumkonzept bieten, da sich allein im realen Raum selbst das Zusammenspiel der auf den einzelnen Flächen konkret materialisierten Farbigkeit nur im Kontext der wechselnden Beleuchtungssituationen vollständig erfassen lässt.

Die Erfahrbarkeit der Farbkonzepte Tauts an den erhaltenen Bauten setzt allerdings voraus, dass ihre Farbigkeit weitgehend der Erstfassung entspricht. Dies ist keineswegs selbstverständlich. Witterung, Verschmutzung oder Pigmentveränderungen machten regelmäßige Instandsetzungen notwendig, die häufig auch dazu genutzt wurden, Neuanstriche den gewandelten ästhetischen Vorstellungen der jeweiligen Zeit anzupassen. Erst in den 1980er Jahren wurden in der Berliner Siedlung "Onkel Toms Hütte" erste Versuche unternommen, die originale Farbigkeit zu rekonstruieren.

In der modernen denkmalgerechten Sanierung sollten auch die ursprünglichen Farbkonzepte als Quellen befragt und berücksichtigt werden. In der Praxis ist hier ein wesentliches Mittel der optische Farbabgleich von Freilegungsproben mit historischen und – für die Rekonstruktion – modernen Farbkarten. Im Falle Tauts wurden vor allem die Farbtonmuster von Paul Baumann herangezogen, die als Vorlagen für die "Farbenzusammenstellung" in "Ein Wohnhaus" dienten, sowie Musterkarten der Firma Keim, die für seine späteren Siedlungen als Lieferantin von Anstrichfarben dokumentiert ist. Für den Abgleich zwischen zeitgenössischer und heutiger Farbwirkung ist jedoch auch die Analyse der Materialien des Farbauftrags in seiner materiellen Gesamtheit von Bedeutung, zumal es sich bei den Architekturfassungen wie auch bei den Referenztafeln um gealtertes Material handelt. Erst auf Basis dieser Gesamtanalyse lassen sich Aussagen treffen zur zeitgenössischen Farbregie Tauts und ihrer ästhetischen und auch sozialen Wirkung für den städtischen Raum.